Entwürfe im Winterersemster 2025 / 2026
Fair Shared City. Case Study Stuttgart
Städtebauentwurfsstudio
Prof. Fabienne Hoelzel, AM Lisa Dautel
Städtebauentwurfsstudio 12,5 ECTS, Exkursion nach Nairobi
Wir beschäftigen uns in diesem Semester mit dem Konzept der Fair Shared City. Die Stadt Stuttgart dient uns dabei als Fallbeispiel für eine intensive Recherche, die Auseinandersetzung mit der räumlichen Dimension des Konzepts sowie die Entwicklung visionärer Zukunftsbilder. Die Konzepte der Fair Shared City, der Caregiver und der Caretaker bilden das theoretische Fundament unseres Studios und leiten uns in allen Phasen des Semesters.
Die Fair Shared City beschreibt eine Stadt, die für alle zugänglich, bezahlbar und demokratisch gestaltet ist. Besonders der Aspekt der räumlichen Gerechtigkeit ist für Architekt*innen und Stadtplaner*innen von zentraler Bedeutung. Daneben spielen auch soziale, ökologische und digitale Gerechtigkeit eine Rolle.
Das Caregiver und Caretaker-Konzept basiert auf der Erkenntnis, dass wir alle im Laufe unseres Lebens sowohl auf Fürsorge angewiesen sind als auch Pflege für andere übernehmen. Die häufigsten Caregiver sind beispielsweise Mütter, die sich um ihre Kinder oder Eltern kümmern. Unter Caretaker fallen Kinder, ältere oder kranke Personen, die, um ihren Alltag bestreiten zu können auf Hilfe angewiesen sind – also auf die Hilfe von Caregivern. Auch wenn Care-Arbeit nach wie vor überwiegend von Frauen geleistet wird, schließt das Konzept selbstverständlich alle Geschlechter ein.
Ziel der Fair Shared City ist es, eine Stadt zu entwerfen, die vorrangig auf die Bedürfnisse und den Alltag von Caregivers und Caretakers reagiert. Dabei knüpft das Konzept an feministische Bestrebungen an, die für gleichberechtigte Städte, vielfältige Lebensentwürfe und eine gerechtere Gesellschaft kämpfen. Es geht darum, städtische Räume so zu gestalten, dass sie für alle Menschen zugänglich, sicher und inklusiv sind – unabhängig von Geschlecht, Alter, Herkunft oder sozialer Stellung. So entsteht eine lebenswertere Umgebung, die den vielfältigen Anforderungen und Realitäten der Stadtgesellschaft gerecht wird.
Befasst man sich mit den heutigen Städten wird schnell klar, unsere Städte wurden in der Vergangenheit von und für den arbeitenden, körperlich gesunden Mann zwischen 15 und 60 Jahren entworfen. Wiederaufbaubestrebungen nach dem Zweiten Weltkrieg stellten mit ihren autozentrierten, funktionsgetrennten und monofunktionalen Ansätzen das traditionelle Bild der Kleinfamilie in den Mittelpunkt. Der Mann verlässt als Versorger der Familie morgens das Haus, pendelt mit dem Auto zur Arbeit und kehrt abends zurück. Die Lebensrealität von Frauen und anderen Akteur*innen der Gesellschaft wurde dabei weitgehend ignoriert. Die Stadt Stuttgart ist ein Paradebeispiel für diese (historische) Entwicklung. Zugleich ist sie ein Ort mit großem Potenzial, den Stadtraum künftig gerechter zu gestalten.
In unserer Gesellschaft existieren also vielfältige Lebensentwürfe, die sich jedoch bislang nur unzureichend in der gebauten Umwelt und in den sie prägenden Entscheidungsprozessen widerspiegeln. Daher stellen wir uns in diesem Semester die Frage: Wie würden unsere Städte aussehen, wenn sie in ihrer Gestaltung auf die Bedürfnisse aller Menschen eingehen würden, insbesondere von Frauen, Kinder und Senior*innen? Neben den räumlichen Aspekten interessieren uns auch die politischen und sozialen Prozesse, die für die Umsetzung einer Fair Shared City notwendig sind.
Ziel des Studios ist es, das Konzept der Fair Shared City sowie die Rollen von Caregivers und Caretakers theoretisch zu verstehen, analytisch und räumlich zu untersuchen und gestalterisch anzuwenden. In einem ersten gemeinsamen Workshop (Phase 1) erarbeiten wir anhand ausgewählter Texte und Studien ein gemeinsames Verständnis für die Semesterthematik. Aufbauend darauf bearbeiten Sie das Thema in drei Gruppen, die unterschiedliche Perspektiven auf die Fair Shared City einnehmen:
- Gruppe 1: Mobilität
- Gruppe 2: Öffentliche Räume
- Gruppe 3:
Care-Arbeit
In Phase 2 analysieren Sie, inwiefern Ihre Themenbereiche aktuell gerecht geteilt sind – oder eben nicht. Sie untersuchen, an welchen Stellen Caregiver und Caretaker benachteiligt werden, wo Ihre Themen nicht gerecht gestaltet sind, wo heute schon positive Ansätze existieren und wie sich strukturelle Ungleichheiten konkret manifestieren. Der Fokus liegt auf Stuttgart als Fallbeispiel, wird jedoch durch den Blick auf nationale und europäische Kontexte ergänzt – je nach Fragestellung und Datenlage.
Im nächsten Schritt lernen Sie die „not yet“ Fair Shared City durch eigene Erfahrungen kennen: In einer eigenständigen Feldforschung versetzen Sie sich in unterschiedliche Perspektiven – etwa die einer älteren Frau mit Rollator, eines Grundschulkindes, einer nicht-deutschsprachigen Migrantin, eines alleinerziehenden Vaters oder einer Sozialhilfeempfängerin. Sie dokumentieren, wie sich der Alltag in der Stadt aus diesen Sichtweisen gestaltet und das stets im Bezug zu Ihrem thematischen Schwerpunkt. Die gesammelten Erkenntnisse werden überlagert, um komplexe Zusammenhänge und Herausforderungen für mehrfach benachteiligte Menschen (Stichwort: Intersektionalität) besser zu verstehen.
In Phase 3 entwickeln Sie auf Grundlage Ihrer Recherchen und Feldstudien visionäre Zukunftsbilder einer Fair Shared City. Diese dürfen bewusst fragmentarisch und pointiert sein – sie sollen konkrete Aspekte herausgreifen, dürfen andere bewusst offenlassen. Ihre Zukunftsbilder können in Form von Collagen, Karten, Diagrammen oder Prozessen visualisiert werden. Die Form besprechen wir innerhalb regelmäßiger Besprechungen mit den einzelnen Gruppen an den Studiotagen.
In der abschließenden Phase 4 führen wir Ihre individuellen Arbeiten zu einem gemeinsamen Narrativ zusammen. Ziel ist die Entwicklung eines gemeinsamen Endprodukts, das Ihre Analysen, Erkenntnisse und Zukunftsbilder vereint. Die konkrete Form – ob Manifest, Ausstellung oder eine andere Darstellung – wird im Laufe des Semesters gemeinsam definiert.
Die Exkursionswoche verbringen wir in Nairobi und nutzen die Zeit für eine intensive Feldforschung, in der Sie die Stadt mit der Brille der Fair Shared City-Konzept analysieren und bewerten werden. Das „(not) learning from Nairobi“ im Bezug auf Ihre Themen (Mobilität, Öffentliche Räume und Care-Arbeit) der Fair Shared City steht hier im Vordergrund. Die Methoden beinhalten Kartografie, Handskizzen, Videos und Interviews. Im Rahmen der Exkursionswoche werden wir Ihnen auch die Ergebnisse des Semesterprojektes (SoSe25) „Dadaab. Cities in the desert“ in Form einer Ausstellung präsentieren. Neben Einblicken in mögliche Endprodukte, ist hier besonders spannend zu sehen, wie studentische Arbeiten durch die Ausstellung und innerhalb eines gemeinsamen Workshops Einfluss auf die für Dadaab zuständigen Politiker*innen und Planenden nehmen kann.
Studiotage: Dienstag und Mittwoch, 9-18 Uhr, Räume 206 und 208, NB 1
Einführungsveranstaltung: Mittwoch, 15.10. 9-16 Uhr, Raum 208, NB 1
Anmeldung und Information: Das Studio ist auf Deutsch konzipiert, aber offen für internationale Studierende. Bei Bedarf passen wir die Unterrichtssprache an. Einige Texte und Studien sind nur in Englisch vorhanden, die Bereitschaft diese zu lesen und zusammenzufassen ist Grundlage für die Teilnahme am Studio.
Anmeldung: ABK-Portal